Bei der Bundestagswahl am 23. Februar wurde die AfD mit 20,8 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft – ein Ergebnis, das nicht nur eine statistische Marke, sondern auch eine politische Zäsur darstellt. Die rechtspopulistische Partei ist dem Zentrum der politischen Macht so nahe wie nie zuvor – oder anders gesagt: Das Zentrum selbst rückt nach rechts.
Am 2. Mai erklärte das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD zunächst zur „gesichert rechtsextremen Bestrebung“. Doch nur wenige Tage später, nach einem Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln, wurde diese Einstufung ausgesetzt – vorerst gilt die AfD lediglich als „Verdachtsfall“.
Während sich staatliche Institutionen nicht einig sind, wie die Partei rechtlich einzuordnen ist, rückt eine noch brisantere Frage ins Zentrum der öffentlichen Debatte: Sollte die AfD verboten werden – und wenn ja, um welchen Preis?
Zwischen Sicherheitswunsch und Spaltung – das Dilemma des Verbots
Laut einer vom Meinungsforschungsinstitut Insa für die Bild am Sonntag durchgeführten Umfrage befürworten 48 Prozent der Deutschen ein solches Verbot. 61 Prozent bezeichnen die AfD klar als eine „rechtsextreme“ Partei. Ein bedeutender Teil der Gesellschaft erwartet, dass der Staat mit harten Maßnahmen auf diese Bedrohung reagiert. So verständlich diese Forderung auch ist – ihre Umsetzbarkeit und die möglichen Folgen müssen gründlich hinterfragt werden.
Die ersten Äußerungen des neuen Bundeskanzlers Friedrich Merz zu diesem Thema waren bemerkenswert. Merz betonte: „Man kann zehn Millionen AfD-Wähler nicht verbieten“ und unterstrich, dass es sich bei diesem Problem nicht nur um eine Partei handle, sondern um den Gemütszustand der Gesellschaft.
Die AfD ist innerhalb eines demokratischen Systems gewachsen, sie hat sich durch die Nutzung verfassungsmäßiger Rechte etabliert. Nun will dasselbe System sie ausschließen. Dieser Widerspruch könnte die Glaubwürdigkeit der Demokratie untergraben. Eine Partei nicht wegen ihrer Ideen, sondern wegen ihres Erfolgs zu verbieten, reduziert die Demokratie auf ein Sicherheitsinstrument.
Zudem würde ein solches Verbot die AfD nicht zum Schweigen bringen – im Gegenteil: Es könnte ihr eine stärkere Bühne bieten. Die Erzählung „Der Staat versucht, uns mundtot zu machen“ würde der Partei genau das Märtyrertum verleihen, das sie sich seit Langem wünscht. Besonders unter jungen, unzufriedenen Menschen, ländlichen Wählern und denjenigen, die sich politisch nicht vertreten fühlen, könnte dies eine neue Welle der Unterstützung auslösen.
Kurz gesagt: Ein Verbot mag kurzfristig das Gefühl eines „Aufräumens“ vermitteln, doch mittel- und langfristig dürfte es die gesellschaftliche Spaltung nur noch vertiefen.
Die Ursachen der AfD werden ignoriert
Die zentrale Frage lautet: Ist die AfD Ursache oder Folge? Die AfD ist keine Ursache – sie ist eine Folge. Jahrelange Probleme der politischen Repräsentation, soziale Ausgrenzung, wirtschaftliche Schwierigkeiten von Rentnern sowie Unsicherheiten bei Migration und Integration haben viele Wähler dazu gebracht, das Vertrauen in etablierte Parteien zu verlieren und sich der AfD zuzuwenden. Die Partei hat die von der Mittepolitik hinterlassenen Lücken klug erkannt und strategisch gefüllt. Dabei setzte sie auf einen populistischen Kurs und gewann rasch an Boden.
Besonders in Ostdeutschland haben wirtschaftliche Ungleichheiten, kulturelles Misstrauen und das Fehlen politischer Repräsentation den Aufstieg der AfD erleichtert. Es geht nicht nur um eine Ablehnung der Migration – auch das Misstrauen gegenüber staatlicher Autorität, Kritik an den Medien und das Gefühl, „niemand spricht für uns“, haben die Partei zu einer gemeinsamen Anlaufstelle für verschiedene gesellschaftliche Gruppen gemacht.
Deshalb lässt sich die AfD nicht allein durch ein Verbot bekämpfen. Nötig ist ein politisches und soziales Programm, das die entstandenen Lücken füllt. Doch diese Möglichkeit schwindet von Jahr zu Jahr – denn die Parteien der Mitte beginnen zunehmend, die AfD zu imitieren.
Wer die AfD imitiert, macht sie stärker
Einige Akteure der etablierten Politik versuchten, durch Übernahme von AfD-Rhetorik, Symbolik und Themen verlorene Wähler zurückzugewinnen. Doch diese Strategie legitimierte die AfD eher, als dass sie sie schwächte. Die Verwendung „abgemilderter“ Versionen rechtsextremer Aussagen führte lediglich dazu, dass diese Positionen salonfähig wurden.
Botschaften, die Fremdenfeindlichkeit andeuten, und ausgrenzende Maßnahmen, die unter dem Deckmantel einer „kontrollierten Migration“ präsentiert werden, haben zur Folge, dass die Mitte nach rechts rückt – und damit ihre eigene Basis verliert. Der Kampf gegen die AfD gelingt nicht durch Annäherung, sondern nur durch klare Abgrenzung.
Was wirklich hilft: eine glaubwürdige Politik
Die effektivste Antwort auf den Aufstieg der AfD ist eine inklusive, lösungsorientierte und glaubwürdige Politik. Komplexe Themen wie Migration müssen mit Daten, Prinzipien und nicht mit Angst behandelt werden. Soziale Gerechtigkeit gegen Armut, Solidarität gegen Einsamkeit, Dialog gegen Wut – das sind die echten Alternativen.
Politische Parteien sollten nicht nur in Krisenzeiten präsent sein, sondern kontinuierlich alle Teile der Gesellschaft ansprechen. Die zehn Millionen AfD-Wähler müssen nicht ignoriert, sondern politisch eingebunden werden. Ein Sprachstil, der Gräben vertieft, muss durch eine Sprache ersetzt werden, die Brücken baut. Nur so kann das demokratische Fundament Deutschlands erhalten bleiben.
Die AfD stellt eine der größten Bewährungsproben für die Demokratie in Deutschland dar. Doch die Reaktion auf diese Bedrohung muss im Einklang mit dem Geist der Demokratie stehen. Die wahre Therapie liegt in einer Politik, die Vertrauen erneuert, die Gesellschaft einbindet und Vielfalt als Stärke begreift.