Anlässlich von zehn Jahren Seenotrettung im Mittelmeer hat die Hilfsorganisation SOS Humanity schwere Menschenrechtsverletzungen gegenüber Flüchtlingen angeprangert. In einem am Montag veröffentlichten Bericht der Hilfsorganisation schildern Betroffene Folter, Menschenhandel und sexualisierte Gewalt durch die libysche und tunesische Küstenwache, die sie auf ihrer Flucht erlebt hätten. Die EU trage eine „Mitschuld“ an diesen Taten, da sie die Grenzkontrollen an den EU-Außengrenzen zunehmend auslagere, kritisierte SOS Humanity.
Für den aktuellen Bericht „Grenzen der (Un-)Menschlichkeit“ sammelte die Hilfsorganisation Augenzeugenberichte von 64 Menschen, die von dem Schiff „Humanity 1“ zwischen Oktober 2022 und August 2024 im Mittelmeer aus Seenot gerettet wurden. Diese waren entweder von Libyen oder Tunesien nach Europa aufgebrochen. In Libyen seien fast alle Überlebenden willkürlich inhaftiert worden. Sie berichteten von mangelnder medizinischer Versorgung, Hunger, Diskriminierung und Massenhinrichtungen. Andere erzählten von sexualisierter Gewalt und Menschenhandel. „Sie verkaufen Menschen wie Brot“, wird der Augenzeuge Darius zitiert.
Auf dem zentralen Mittelmeer sei es wiederholt zu gewaltsamen Rückführungen durch die libysche und tunesische Küstenwache gekommen. Ohnehin seeuntüchtige Boote seien absichtlich zum Kentern gebracht und die Menschen dem Ertrinken überlassen worden.
SOS Humanity kritisierte jedoch auch die EU, die mit einer „Politik der Externalisierung“ ihre Verantwortung für Flüchtlingsschutz und Grenzkontrollen zunehmend an Länder wie Tunesien und Libyen ausgelagert habe. Die Arbeit von Organen des Küstenschutzes beider Länder ähnele „organisierten kriminellen Netzwerken“: „Oft haben sie enge Verbindungen zu genau den Schmugglern und Milizen, die die EU und ihre Mitgliedstaaten angeblich bekämpfen wollen“, kritisierte SOS Humanity.
Angesichts der Augenzeugenberichte rief die Hilfsorganisation die EU dazu auf, die Zusammenarbeit mit Tunesien und Libyen zu beenden. Stattdessen brauche es ein „europäisch finanziertes und koordiniertes Seenotrettungsprogramm, das Menschlichkeit an die Außengrenze zurückbringt und Leben schützt“.
Die Vereinten Nationen haben die Migrationsroute über das Mittelmeer als die tödlichste der Welt bezeichnet. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) waren im vergangenen Jahr 2333 Flüchtlinge im Mittelmeer verschwunden oder ums Leben gekommen.