TÜRKİYE
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Die neue Adresse der Diplomatie: Türkiye
Türkiye wird zunehmend als Schlüsselakteur in der internationalen Diplomatie anerkannt. Seine Fähigkeit zur Vermittlung stärkt seine Position auf der globalen Bühne.
Die neue Adresse der Diplomatie: Türkiye
Die neue Adresse der Diplomatie: Türkiye. / Foto: REUTERS
15. Mai 2025

In einer zunehmend fragmentierten Weltordnung entstehen neue Machtzentren – nicht nur militärisch, sondern auch diplomatisch. Einer der bemerkenswertesten Akteure dieser Entwicklung ist Türkiye. Wer heute über Diplomatie spricht, denkt nicht mehr nur an klassische Großmächte, sondern immer öfter an Türkiye – als Vermittler, als Plattform für Dialog und als Garant eines flexiblen Multilateralismus. Diese Rolle ist eng mit der außenpolitischen Führung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan verbunden, der inmitten geopolitischer Spannungen auf Ausgleich, Dialog und strategische Autonomie setzt.

Ein glaubwürdiger Vermittler zwischen Moskau und Kiew

Die jüngsten Entwicklungen rund um den russisch-ukrainischen Krieg haben einmal mehr gezeigt, welche zentrale Rolle Türkiye heute einnimmt. Am 11. Mai forderte der russische Präsident Wladimir Putin die Wiederaufnahme der direkten Gespräche mit der Ukraine, die seit drei Jahren ruhen. Als Ort schlug er Istanbul vor – und bat Präsident Erdoğan offiziell um Vermittlung. Am selben Tag erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, er werde Erdoğan am 15. Mai in Ankara treffen und hoffe, auch Putin werde dem Dialogangebot folgen.

Diese dichte diplomatische Aktivität ist kein Zufall. Beide Konfliktparteien erkennen an, dass Türkiye weder vollständig im westlichen noch im östlichen Lager verankert ist – sondern seinen eigenen Kurs verfolgt. Dieses strategische Gleichgewicht ermöglicht es, Vertrauen aufzubauen und Gespräche zu ermöglichen, wo andere längst als parteiisch gelten. Der Umstand, dass sowohl Moskau als auch Kiew Türkiye als Gastgeberstaat für Friedensgespräche akzeptieren, unterstreicht die besondere geopolitische Glaubwürdigkeit Ankaras.

Zudem genießt Präsident Erdoğan bei beiden Seiten ein persönliches Vertrauensverhältnis. Während der Westen ihn für seine pragmatische Haltung zu Russland oft kritisiert, erkennt Moskau seine Verlässlichkeit in der Gesprächsführung an. Umgekehrt schätzt die Ukraine die militärische Unterstützung Türkiyes – etwa durch Bayraktar-Drohnen – und weiß gleichzeitig, dass Ankara im Dialog mit dem Kreml vermitteln kann.

Zwischen Diplomatie und Verteidigung: Türkiye als strategische Schlüsselmacht

Ein umfassender Blick auf Türkiyes Rolle zeigt, dass Diplomatie und sicherheitspolitische Kapazitäten eng miteinander verknüpft sind. Die britische Financial Times veröffentlichte kürzlich eine detaillierte Analyse, in der Türkiyes militärisch-technologische Fortschritte als „nicht mehr zu übersehende Realität“ bezeichnet wurden. Der erfolgreiche Start und die Landung der TB3-Drohne auf dem Flugdeck der TCG Anadolu – dem ersten unbemannten Luftfahrzeugstart dieser Art weltweit – wurde nicht nur als technischer Meilenstein gefeiert, sondern auch als symbolisches Erbe osmanischer Seemacht interpretiert.

Doch es geht um mehr: Türkiye ist heute ein unverzichtbarer Akteur für Europas Sicherheit. Während westliche Länder Schwierigkeiten haben, ihre Verteidigungsindustrie hochzufahren, rollen in Türkiye moderne gepanzerte Fahrzeuge, Korvetten und Drohnen serienweise vom Band – größtenteils mit national entwickelten Komponenten. Die Financial Times betont: In einer Zeit, in der Europa rund 800 Milliarden Euro in Verteidigung investieren will, gehört Türkiye zu den wenigen Ländern, die sowohl liefern als auch vermitteln können.

Erdoğans Vorschlag, ein multilaterales Gipfeltreffen mit den Präsidenten der USA, Russlands und der Ukraine in Istanbul abzuhalten – selbst wenn es nicht zustande kommt – ist Beleg für das diplomatische Gewicht, das Ankara mittlerweile aufgebaut hat. Gleichzeitig zeigen die regelmäßigen Einladungen des Außenministers Hakan Fidan zu EU-Verteidigungstreffen, dass auch Brüssel die Realität neuer Abhängigkeiten anerkennt. Türkiye wird nicht mehr nur als Beitrittskandidat behandelt, sondern als sicherheitspolitischer Pfeiler, auf den man sich verlassen muss.

Neutraler Boden mit globaler Ausstrahlung

Türkiyes Rolle als Vermittler ist kein kurzfristiges Phänomen, sondern Ergebnis konsequenter strategischer Positionierung. Beim größten Gefangenenaustausch seit dem Kalten Krieg – zwischen den USA, Russland, Belarus, Deutschland, Polen, Norwegen und Slowenien – fungierte der Flughafen Ankara Esenboğa als neutraler Boden. Insgesamt wurden 36 Personen ausgetauscht. Der diplomatische Kraftakt, bei dem Türkiye keine eigene Agenda verfolgte, sondern ausschließlich die Rolle einer sicheren Plattform übernahm, wurde international gewürdigt.

Auch auf dem afrikanischen Kontinent ist Ankara mittlerweile ein fester Bestandteil der Konfliktlösung. Im Jahr 2024 unterzeichneten Somalia und Äthiopien nach jahrelangen Spannungen die „Erklärung von Ankara“. Dieser Durchbruch gilt nicht nur für das Horn von Afrika als Meilenstein, sondern wird auch von der Afrikanischen Union und den UN als Modell für regionale Versöhnung betrachtet. Dass dieser Schritt ausgerechnet in Ankara möglich wurde, unterstreicht die Glaubwürdigkeit Türkiyes als vermittelnde Macht auch jenseits der eigenen Region.

Ein weiteres Beispiel: Das virtuelle Treffen zwischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan, US-Präsident Donald Trump, dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und dem syrischen Präsidenten Ahmed al-Scharaa markierte ein bedeutendes diplomatisches Ereignis. Präsident Erdoğan nahm per Videokonferenz an der Diskussion teil, bei der die Zukunft Syriens im Mittelpunkt stand. Insbesondere wurde die Entscheidung der USA, alle Sanktionen gegen Syrien aufzuheben, als historisch bezeichnet. Diese Entwicklung fand weltweit Beachtung und unterstreicht Türkiyes Rolle als zentraler Akteur in der internationalen Diplomatie.

Türkiye als Schlüsselakteur der internationalen Diplomatie

Türkiye verfolgt eine Außenpolitik, die weder rein westlich noch rein östlich geprägt ist – sondern aus einer eigenständigen sicherheits- und wirtschaftspolitischen Logik heraus agiert. NATO-Mitgliedschaft, Rüstungskooperationen mit der Ukraine, wirtschaftliche Beziehungen zu Russland, Einfluss im Nahen Osten und in Afrika: Diese Vielschichtigkeit macht Türkiye zu einem unverzichtbaren Akteur der internationalen Ordnung.

Auch wenn die EU-Türkiye-Beitrittsgespräche seit Jahren stillstehen, wird in Brüssel inzwischen mehr über geopolitische Realitäten gesprochen als über institutionelle Normen. Selbst Kritiker Erdoğans räumen ein: Ohne Türkiye lässt sich Europas Sicherheit weder denken noch gestalten. In einer Welt, in der Interessen konkreter, Bedrohungen unmittelbarer und Allianzen flexibler geworden sind, ist Türkiye nicht nur Vermittler in Krisen – sondern eine eigenständige Macht mit wachsendem strategischem Gewicht.

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