Am Sonntag ist es wieder soweit: Wien wählt. Die Bürgerinnen und Bürger bestimmen bei den Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen 2025 ihren Stadtrat und ihre Bezirksvertretungen neu. Laut offiziellen Angaben sind 1.109.936 Menschen wahlberechtigt. Doch so klar diese Zahl auch klingen mag – sie erzählt nur die halbe Geschichte.
Denn nicht alle, die in Wien leben, dürfen ihre Stimme abgeben. Rund 610.795 Menschen, also etwa jede dritte Person im wahlfähigen Alter, bleiben außen vor. Ein Drittel – das ist keine kleine Minderheit, das ist eine gewaltige Lücke in einem demokratischen Prozess.
Im Fokus steht diesmal wieder Bürgermeister Michael Ludwig. Seit 2018 führt er die Geschicke der Stadt und tritt nun erneut für die SPÖ an. Ludwig wird über Parteigrenzen hinweg für seine ruhige, pragmatische Art geschätzt. Besonders während der schwierigen Monate der Corona-Pandemie war seine besonnene Führung für viele ein beruhigender Anker. Unter seiner Leitung investierte Wien massiv in sozialen Wohnbau, Bildung und Digitalisierung. Besonders im Umgang mit migrantischen Communities bewies Ludwig Fingerspitzengefühl und Offenheit. Viele sehen in ihm einen Bürgermeister, der nicht nur über Integration spricht, sondern aktiv den Dialog sucht und Vielfalt als Stärke der Stadt versteht. Ludwig steht für Kontinuität in einer Zeit, in der vieles ins Wanken gerät – für viele Bürgerinnen und Bürger ein Zeichen von Verlässlichkeit.
Doch eine Frage bleibt bestehen – und gerade diese Wahl stellt sie noch deutlicher in den Raum: Wie inklusiv ist Wiens Demokratie wirklich? Wer gehört dazu – und wer bleibt außen vor?
Demokratiedefizit in Wien: Wenn Bürger keine Stimme haben
Ein genauerer Blick auf die Gruppe der Nichtwählerinnen und Nichtwähler zeigt: Es sind vor allem junge Menschen, die ausgeschlossen bleiben. 44,4 Prozent der 16- bis 30-Jährigen, 46,4 Prozent der 31- bis 44-Jährigen dürfen nicht wählen. Viele von ihnen sind in Österreich geboren. Sie kennen kein anderes Zuhause als Wien – doch politisch bleiben sie unsichtbar.
Der Grund ist ebenso einfach wie bitter: Ohne österreichische Staatsbürgerschaft gibt es kein Wahlrecht. Und der Weg zur Staatsbürgerschaft ist alles andere als leicht. Hohe Kosten, lange Verfahren, strenge Auflagen – wer dazugehören will, muss Hürden überwinden, die viele abschrecken.
Auch Bürgerinnen und Bürger aus der Europäischen Union sind betroffen. Sie dürfen auf Bezirksebene wählen, aber nicht bei der Gemeinderatswahl. Etwa 264.776 EU-Bürgerinnen und -Bürger betrifft das – Menschen aus Deutschland, Polen, Rumänien, Ungarn oder Kroatien, die längst Teil des Wiener Alltags geworden sind.
Man könnte sich fragen: Passt dieses Wahlsystem noch zu einer Stadt, die stolz auf ihre Weltoffenheit ist? Oder läuft Wien Gefahr, seine eigenen Ideale zu verraten?
Fest steht: Wer dauerhaft außen vor bleibt, verliert das Vertrauen. Wer nicht gehört wird, zieht sich zurück. Demokratie, so zeigt sich hier, lebt nicht nur vom Prinzip, sondern von echter Teilhabe.
Ein Blick auf die Umfragen
Neben diesen strukturellen Herausforderungen verändern sich auch die politischen Kräfteverhältnisse. Aktuelle Umfragen lassen aufhorchen: Die FPÖ kann im Vergleich zu 2020 um 14 Prozent zulegen, während die ÖVP neun Prozent verliert. Das ist ein deutliches Signal.
Warum verliert die ÖVP? Die Antwort ist vielschichtig. Skandale, unsicheres Krisenmanagement während der Pandemie, steigende Lebenshaltungskosten – all das hat das Vertrauen erschüttert. Besonders junge und einkommensschwache Wählerinnen und Wähler haben sich abgewandt.
Auch in Wien, wo soziale Sicherheit hochgeschätzt wird, hat die ÖVP den Anschluss an viele Milieus verloren – an Migrantengruppen ebenso wie an urbane, gut ausgebildete Schichten. Die Partei versuchte zwar, moderat aufzutreten, wurde jedoch von der FPÖ mit klareren, emotionaleren Botschaften übertönt.
Die FPÖ setzte ganz bewusst auf Themen wie Sicherheit, Migration und nationale Identität. Mit provokanten Slogans wie „ Sichere Pensionen statt Asylmillionen?“ spricht sie jene an, die sich von der gesellschaftlichen Entwicklung überfordert fühlen. Hohe Mieten, Sorgen um Gerechtigkeit bei Sozialleistungen und allgemeines Misstrauen gegenüber Behörden – all diese Ängste kanalisierte die FPÖ geschickt.
Die Folge: Es gibt eine klare Wählerwanderung von der ÖVP zur FPÖ, insbesondere bei konservativen, männlichen und wirtschaftlich prekären Gruppen mittleren Alters.
Was steht auf dem Spiel?
Die Wien-Wahl 2025 ist mehr als ein politischer Urnengang. Sie ist ein Spiegel der Stadt. Wer gehört dazu, wer bleibt draußen? Wer darf seine Stimme abgeben – und wer bleibt stumm? Wie kann Wien eine Stadt für alle sein, wenn so viele von demokratischer Mitbestimmung ausgeschlossen bleiben?
Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie muss jeden Tag neu mit Leben gefüllt werden – von allen, die hier leben. Nicht nur von jenen mit einem roten Pass.
Die Zukunft Wiens entscheidet sich also nicht nur an der Wahlurne. Sie entscheidet sich auch daran, wie ernst wir die Stimmen nehmen, die wir nicht hören.