Die Palästinenser im Gazastreifen durchleiden nach Darstellung von UN-Generalsekretär António Guterres die wohl „grausamste Phase“ in dem seit mehr als anderthalb Jahren andauernden Krieg. „Die gesamte Bevölkerung Gazas ist von einer Hungersnot bedroht. Familien müssen hungern und ihnen wird das Nötigste vorenthalten – und das alles vor den Augen der Weltöffentlichkeit“, sagte er. Die Hilfe, die seit einigen Tagen wieder in den Gazastreifen kommt, reicht laut Helfern längst nicht aus.
Israel hatte Anfang der Woche eine fast dreimonatige Blockade humanitärer Hilfe gelockert. 400 in den vergangenen Tagen zugelassene Lkw-Ladungen seien nur ein „Teelöffel“ der nötigen Hilfe, sagte Guterres. Benötigt werde eine „Flut“ an Gütern. Am Freitag seien weitere 83 unter anderem mit Mehl und Medikamenten beladende Lkw über den Grenzübergang Kerem Schalom in Gaza eingetroffen, teilte Israels zuständige Behörde Cogat mit. Nötig wären jedoch nach UN-Angaben täglich mindestens 500 bis 600 Lastwagenladungen.
„Aktuelle Hilfe wie Nadel im Heuhaufen“
„Die aktuelle Hilfe ist wie eine Nadel im Heuhaufen“, schrieb der Chef des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA, Philippe Lazzarini, auf der Onlineplattform X. In dem abgeriegelten Küstengebiet am Mittelmeer leben rund zwei Millionen Menschen, Hunderttausende sind laut eines UN-Berichts von Mitte Mai akut vom Hungertod bedroht. Die UN hätten alle logistischen Voraussetzungen, um die Menschen zu versorgen, sofern Israel dies zulasse, sagte Guterres. „160.000 Paletten stehen bereit, genug, um fast 9.000 Lastwagen zu füllen“.
„Die Rettung von Menschenleben muss Vorrang vor militärischen und politischen Agenden haben. Die Menschen in Gaza können nicht länger warten“, schrieb Lazzarini. Israel hatte im März sämtliche Hilfslieferungen nach Gaza blockiert und kurz darauf auch die Waffenruhe mit der Widerstandsorganisation Hamas beendet.
Der Einsatz von Hunger als Waffe verstößt gegen das Völkerrecht und gilt als Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
UN-Organisation meldet Plünderungen
Israel behauptete ohne Nachweise, es gebe keinen Mangel an Hilfsgütern. Die Regierung beschuldigt die Hamas, sie zu stehlen, um damit Geld zu machen. Die Hamas weist die Vorwürfe zurück. Auch die UN sagen, Israel habe keine Beweise dafür vorgelegt. Wie das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) unterdessen mitteilte, wurden 15 Lkw der Organisation im Süden Gazas geplündert. Dies sei am Donnerstagabend passiert, als die Wagen auf dem Weg zu vom WFP unterstützten Bäckereien gewesen seien, hieß es.
Wer die Hilfsgüter gestohlen hat, wurde nicht gesagt. Israels Armee und die zuständige Behörde Cogat äußerten sich auf Anfrage zunächst nicht zu dem Vorfall. Niemand solle überrascht oder schockiert über die Plünderungen von Hilfsgütern sein, schrieb Lazzarini. „Die Menschen in Gaza sind ausgehungert worden“. Ältere seien wegen mangelnder Medikamente gestorben. Israels Armee behauptete dagegen jüngst, die humanitäre Lage werde stets überwacht.
Appell an Israel
„Hunger, Verzweiflung und die Ungewissheit, ob noch weitere Nahrungsmittelhilfe kommt, tragen zur wachsenden Unsicherheit bei“, hieß es in der Erklärung des Welternährungsprogramms weiter. „Wir brauchen die Unterstützung der israelischen Behörden, um deutlich größere Mengen Nahrungsmittelhilfe schneller, gleichmäßiger und auf sichereren Routen nach Gaza zu bringen, wie es während der Waffenruhe geschehen ist“, hieß es.
Israel hatte nach dem Vergeltungsschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 einen Vernichtungskrieg in Gaza gestartet. Erklärtes Ziel ist die Zerschlagung der Hamas, doch es wurden bisher Zehntausende Zivilisten getötet.
Nach palästinensischen Angaben wurden in Gaza seit dem 7. Oktober 2023 mehr als 53.700 Menschen durch israelische Angriffe getötet und rund 122.000 weitere verletzt. Beim Großteil der Getöteten handelt es sich demnach um Frauen und Minderjährige. Experten schätzen die Dunkelziffer weit höher, da noch viele Tote unter den Trümmern liegen und nicht geborgen werden können.