POLITIK
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Deutsch-syrische Annäherung: Der schwierige Weg zur Flüchtlingslösung
Nur durch eine realistische Zusammenarbeit mit der syrischen Übergangsregierung und enger Abstimmung mit Ankara kann Berlin nachhaltige Lösungen für Abschiebungen und freiwillige Rückkehr syrischer Flüchtlinge erreichen.
Deutsch-syrische Annäherung: Der schwierige Weg zur Flüchtlingslösung
Deutsch-syrische Annäherung: Der schwierige Weg zur Flüchtlingslösung. / Foto: Sebastian Gollnow/dpa
28. April 2025

Nach dem Zerfall der Ampelkoalition am 7. November befindet sich Deutschland in einer Phase politischer Turbulenzen, wie sie in der modernen Geschichte des Landes selten erlebt wurde. Die Bundestagswahlen brachten den etablierten Parteien dramatische Verluste, während die rechtspopulistische AfD ihre Stimmen verdoppelte und mit 20,8 Prozent ein Rekordergebnis erzielte. Noch bevor die zwischen CDU/CSU und SPD geschlossene Koalition die Amtsgeschäfte übernehmen und Friedrich Merz als neuer Bundeskanzler vereidigt werden konnte, wies die AfD erstmals in Umfragen die stärkste Zustimmung unter allen Parteien auf.

Der Aufstieg der extremen Rechten hat viele Ursachen. Doch im Zentrum steht unverkennbar die Migrations- und Flüchtlingsfrage. Der rasante Aufstieg der 2013 gegründeten AfD ist eng mit dem massiven Zustrom syrischer Flüchtlinge im Jahr 2015 verbunden. Terroranschläge, bei denen vielfach Migranten – auch syrischer Herkunft – als Täter identifiziert wurden, haben der AfD eine zentrale politische Profilierungsmöglichkeit verschafft.

Besonders im Fokus stehen heute abgelehnte Asylbewerber ohne Aufenthaltsrecht. Dass mehrere jüngste Anschläge von Personen verübt wurden, deren Abschiebung bereits angeordnet war, heizt die politische Debatte weiter an. Die scheidende Bundesregierung arbeitet daher daran, in Zusammenarbeit mit der syrischen Übergangsregierung mehr als tausend ausreisepflichtige Syrer abzuschieben. Vor diesem Hintergrund reisten Innenministerin Nancy Faeser und ihr österreichischer Amtskollege dieses Wochenende überraschend nach Damaskus.

Vorsichtige Annäherung Deutschlands an die syrische Übergangsregierung

Nach dem Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember 2024 bemühte sich Deutschland rasch, aktive Beziehungen zur syrischen Übergangsregierung aufzubauen. Bereits Anfang des Jahres, kaum einen Monat nach dem Regimewechsel, reiste Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nach Damaskus und signalisierte prinzipielle Bereitschaft zu einer potenziellen Zusammenarbeit.

Allerdings blieb dieses erste Treffen weit hinter den Erwartungen zurück. Statt zentrale Themen wie den Wiederaufbau eines Landes zu erörtern, das durch 13 Jahre Bürgerkrieg, Hunderttausende Tote, Millionen Geflüchtete und massive Zerstörung gezeichnet ist, konzentrierte sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf eine symbolische Geste: Ahmed al-Sharaa, der neue starke Mann in Syrien, verweigerte Baerbock demonstrativ den Handschlag.

Dieses Bild prägte den Besuch in der internationalen Öffentlichkeit und überdeckte weitgehend die inhaltliche Ebene. Baerbocks mahnende und belehrende Erklärungen gegenüber der syrischen Übergangsregierung, insbesondere ihre Betonung demokratischer Reformen und Minderheitenrechte, stießen in Damaskus auf deutliche Ablehnung. Die syrische Seite empfand sowohl Ton als auch Inhalt der deutschen Außenministerin als unangebracht und wenig respektvoll gegenüber der dramatischen Lage des Landes.

Am 20. März kehrte Baerbock zu einem zweiten Besuch nach Damaskus zurück und eröffnete offiziell die deutsche Botschaft, die seit 2012 geschlossen gewesen war. Auch diesmal traf sie sich mit Ahmed al-Sharaa sowie weiteren hochrangigen syrischen Vertretern. Obwohl erneut viele Blicke auf das Thema „Handschlag" gerichtet waren, verlief dieser Besuch diplomatisch glatter: Zwar verweigerte al-Sharaa persönlich weiterhin den Handschlag, doch andere Vertreter der syrischen Übergangsregierung zeigten sich kooperativer, und eine öffentliche Blamage wie beim ersten Besuch blieb aus.

Inhaltlich jedoch hielt Baerbock an ihrem Fokus fest: Anstatt die gravierenden humanitären und sicherheitspolitischen Probleme in den Vordergrund zu stellen, legte sie erneut starken Nachdruck auf demokratische Standards und Minderheitenrechte – Themen, die in der gegenwärtigen Lage Syriens von der Übergangsregierung in Damaskus als nachrangig betrachtet werden. Auch wenn dieser zweite Besuch diplomatisch weniger konfrontativ verlief, blieben die politischen Differenzen bestehen.

Politikwechsel in Sicht?

Mit Nancy Faeser folgte schließlich ein dritter hochrangiger Besuch aus Deutschland – diesmal auf Ebene des Bundesinnenministeriums. Im Mittelpunkt dieses Besuchs stand nicht mehr die allgemeine politische Kooperation, sondern konkret die Situation syrischer Flüchtlinge in Deutschland und Österreich.

Zwei Themen dominierten Faesers Gespräche: Erstens wurde betont, dass gut integrierte, berufstätige Syrer weiterhin in Deutschland bleiben können und dass Rückführungen grundsätzlich nur auf freiwilliger Basis erfolgen sollen. Zweitens – und hier lag der eigentliche Schwerpunkt – ging es um die Möglichkeit, straffällig gewordene oder mit extremistischen Gruppen in Verbindung stehende syrische Flüchtlinge zwangsweise abzuschieben.

Damit solche Abschiebungen tatsächlich durchgeführt werden können, müssen jedoch mehrere Bedingungen erfüllt sein. Es muss ein funktionierender diplomatischer Kontakt zwischen Deutschland und der syrischen Übergangsregierung bestehen, Syrien muss bereit sein, eigene Staatsbürger wieder aufzunehmen und ihnen die notwendigen Reisedokumente auszustellen, und die Identität der abzuschiebenden Personen muss eindeutig geklärt sein.

Zudem darf es keine schwerwiegenden menschenrechtlichen Bedenken geben, insbesondere keine Gefahr von Folter oder unmenschlicher Behandlung nach der Rückkehr. Im Idealfall wird ein Rückübernahmeabkommen oder zumindest eine verbindliche Kooperationsvereinbarung zwischen beiden Staaten geschlossen, um die Verfahren rechtlich abzusichern. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, können Abschiebungen praktisch und rechtssicher umgesetzt werden. Genau auf diese Punkte zielen derzeit die Verhandlungen zwischen Berlin und Damaskus ab.

Voraussetzungen für eine realistische Partnerschaft mit Syrien

Damit die deutschen Bemühungen um eine neue Partnerschaft mit Syrien Erfolg haben können, muss Deutschland zunächst und unausweichlich eine Politik verfolgen, die den Dialog mit der syrischen Übergangsregierung auf Augenhöhe sucht. Die bisherige Art und Weise, wie deutsche Politiker die Beziehungen zu Damaskus gestalten, ist weit davon entfernt, einem gleichberechtigten Umgang zwischen souveränen Staaten zu entsprechen. Der belehrende Ton und die herablassende Haltung, die sich in vielen öffentlichen Erklärungen widerspiegeln, stoßen bei der neuen syrischen Führung auf erhebliches Unbehagen und stellen ein wesentliches Hindernis für eine realistische und aufrichtige Zusammenarbeit dar.

Türkiye als Brücke für neue deutsche Syrienpolitik

Ein weiterer zentraler Punkt ist, dass deutsche Entscheidungsträger nicht nur ihre eigenen innenpolitischen Probleme in den Mittelpunkt stellen dürfen, sondern auch auf die akuten Bedürfnisse Syriens eingehen müssen. So wie das Thema irreguläre Migration für Deutschland eine drängende politische Frage darstellt, sind für die syrische Seite die Aufhebung der Sanktionen, der Wiederaufbau des Landes und – noch wichtiger – die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität und inneren Sicherheit mindestens ebenso zentrale Anliegen, wenn nicht sogar noch dringlicher.

Deutschland könnte beispielsweise in engem Austausch mit seinem Partner Israel stehen, um eine Deeskalation im Konflikt um die von Israel weiterhin angegriffenen syrischen Gebiete, insbesondere die Golanhöhen, zu fördern. Dabei ist zu betonen, dass die syrische Übergangsregierung seit dem 8. Dezember 2024 selbst keinerlei Angriffe auf Israel unternommen hat.

Deutschland könnte zudem auf die PKK/PYD einwirken und darauf hinwirken, dass diese Gruppen ihre Waffen niederlegen und sich in die neue staatliche Ordnung Syriens integrieren. Ebenso könnte sich Deutschland im europäischen Rahmen stärker für die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien einsetzen, um dem Land wirtschaftliche Perspektiven zu eröffnen.

Es darf nicht vergessen werden, dass Deutschland syrische Flüchtlinge nur dann rechtssicher abschieben kann, wenn Syrien als sicheres Herkunftsland gilt. Ohne die genannten Schritte – eine verbesserte Sicherheitslage, Wiederherstellung der staatlichen Kontrolle und wirtschaftliche Stabilisierung – wird Syrien diesen Status nicht erreichen können.

Wie die bisherigen hochrangigen Besuche zeigen, tut sich Deutschland bislang schwer, eine realistische Politik gegenüber Syrien zu entwickeln, die den tatsächlichen Gegebenheiten gerecht wird. In diesem Zusammenhang wird Türkiye eine Schlüsselrolle spielen. Ankara unterhält enge und wirksame Beziehungen zur syrischen Führung in Damaskus und verfügt zudem über langjährige, enge Verbindungen zu Berlin. Deutschland könnte in enger Abstimmung mit Türkiye dazu beitragen, den Wiederaufbau Syriens zu unterstützen und die akuten Bedürfnisse des Landes zu adressieren. Nur auf dieser Basis könnte Deutschland sowohl Fortschritte bei den dringend gewünschten Abschiebungen erzielen als auch langfristig den Weg für freiwillige Rückkehrmöglichkeiten syrischer Flüchtlinge ebnen.

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